Mit verkehrten Rollen
Von Emi Wolters
Im vorigen Sommer – 1935 – hatte ich in dem, etwa 2 Wegstunden von meinem Domizil entfernten Hirschburg eine Streitigkeit zwischen zwei nahen Verwandten zu schlichten. Von uns aus fährt täglich um 7 Uhr früh ein Verkehrsautobus nach Hirschburg, das diese Bezirksstadt mit Tannenberg, einer vielbesuchten böhmischen Sommerfrische verbindet und die ebenfalls etwa 2 Wegstunden von meinem Domizil entfernt ist, sodaß ich nach beiden Orten täglich verbunden bin, auch haben beide Orte eine Bahnstation.
Tannenberg war vor 30 Jahren noch ein stilles, verträumtes Walddörfchen mit einem großen herrschaftlichen Teiche, viel weißem Sande und einem Forsthause. Die Prager aber erkannten in Tannenberg die zukünftige Sommerfrische und kauften Baugründe zu spottbilligen Preisen. So entstand nach und nach eine Villenstätte, die heute etwa 200 schöne Häuser zählt und stark besucht wird. Von dort aus kann man mit dem Autobus in knapp einer halben Stunde nach Hirschburg fahren, woselbst alle Schnellzüge von und nach Prag halten, sodaß vom Frühling an bis zum Spätherbst hinein, stets ein reger Verkehr auf dieser betonierten Strasse zwischen den obengenannten Orten herrscht.
Obwohl wir Transvestiten – mögen wir noch so gut angezogen sein und noch so gut und täuschend das andere Geschlecht zeigen und immer ein gewisses „Etwas an uns haben“, das vielen „Normalen“ mehr oder minder zu denken gibt, ohne gerade aufzufallen, gewöhnen wir uns im Verlaufe der Zeit daran und beachten die eventuellen „Blicke“ dieser Mitmenschen nicht.
So habe auch mich daran gewöhnt und liegt mir garnichts daran, wenn mich Menschen etwas genauer ansehen und vielleicht „spüren“, daß an mir etwas nicht ganz in „Ordnung“ sei. Ich gehe als Frau Öffentlich und ausschließlich nur als Frau meinen Besorgungen nach und habe mich daran gewöhnt, daß mich manchmal Fremde ansehen. Die Einheimischen sind alle meine guten Bekannten und wundern sich höchstens, daß ich schon wieder ein neues Kleid trage. So stieg ich auch im vorigen Sommer früh um 7 Uhr ins Postauto ein, das ziemlich stark besetzt war, da am selben Tage in Hirschburg Wochenmarkt war. Die Einheimischen begrüßten mich, die 6 oder 8 Fremden schauten mich etwas an. Da ich mich mit einigen Bekannten unterhielt und in meiner Altstimme sprach, mischte sich auch eine Dame in unser Gespräch, die in Tannenberg war und wieder nach Prag zurück fuhr. Sie hatte „etwas“ an sich, das mir das Gefühl gab, mich ihr gegenüber auszusprechen, da ich die Probe auf die Richtigkeit meines Instinktes machen wollte. Sie aber wollte es nicht glauben, und bat sie, mich nicht als Frau, sondern als Herr anzusprechen. Sie aber wollte es nicht glauben, daß ich eigentlich ein „er“ sei. Sie erfuhr dann beim Aussteigen, von einer meiner Bekannten, wer ich sei und schon 8 Tage nach diesem Vorfall erhielt ich einen Brief folgenden Inhalts:
Euer Wohlgebohren!
Die Gefertigte bittet vielmals vorweg um Entschuldigung, wenn sie mit einem Schreiben lästig fallen sollte. Aber die Ahnung, daß die Gefertigte sich bei einem Artgenossen keinen Korb holen wird, ferner mein erregter Zustand, in den ich bei Ihrem Anblick geraten bin, und der mich seither fest nicht mehr schlafen läßt, drückt mir die Feder zu einem Erguß an Sie in die Hand. Ich bin nämlich auch eine Artgenossin, eine Transvestitin und habe den Drang in Männerkleidern zu gehen.
Diesen Drang hatte ich schon als Schulkind, konnte aber wegen der gesellschaftlichen Umgebung nie daran gehen, mich als Junge anzuziehen. Erst nach Absolvierung einer Handelsschule und erfolgter Anstellung bei einer Prager Firma wurde es mir möglich, nach und nach männliche Kleidungsstücke anzuschaffen und daheim in meiner Mietswohnung abends anzulegen, Da meine Eltern und Verwandten in Südmähren wohnten und nicht besonders gut situiert waren, hatte ich fast nie Besuch zu erwarten, konnte mir nach dreijähriger Praxis von meinem Gehalte einen Kleiderschrank kaufen, in dem ich meine Männerkleidung und die Wäsche verbarg und als ich einige Jahre später durch eine kleine Erbschaft nach dem Tode der Eltern machte, mietete ich mir Küche und Zimmer und lebte in meiner Freizeit als Herr.
Wenn ich nach Geschäftsschluß heimkam, warf ich die Weiberkleider mit Abscheu von mir und zog mit wohligem Behagen die Männerkleider an, ging auch als Mann abends aus, besuchte das Kaffeehaus, das Kino, das Theater und übte meine an und für sich etwas tiefere Stimme so trefflich, daß ich nirgends auffiel. Freundinnen hatte ich keine, da ich allein sein wollte, um an niemand gebunden zu sein. Ich suchte nach Artgenossinnen, fand aber keine, wohl aus dem Grunde, weil ich gewisse Lokale in Prag mied, aus Furcht irgendwie mit der Polizei oder mit Erpressern zusammen zu kommen.
Ich verschaffte mir, da mein Gehalt mit der Zeit stieg, alle Werke, die über sexuelle Probleme handeln und habe Einblick in diesen Wissenschaftlichen Zweig. Mein sehnlichster Wunsch ist und bleibt, als Mann auftreten zu können und mit einem Manne zu leben der als Frau gekleidet lebt. Und nun komme ich mit einer Anfrage und Bitte:
Ich bin 46 Jahre alt, gut angestellt und habe einige Ersparnisse gemacht, bin auch pensionsversichert. Wissen Sie einen als Frau lebenden Mann, etwa in meinem Alter, der geneigt wäre mit mir in gemeinsamen Haushalte zu leben. Ich habe die bestimmte Ahnung, es war wie ein unsichtbares Fluidum, als ich Sie im Autobus neben mir sitzen sah, daß Sie irgendwelche Beziehungen zu gleichgearteten Menschen haben und mir helfen könnten. Bitte diesen Brief zu vernichten, wenn Sie aus irgend welchem Grunde mit mir nicht in Verbindung treten möchten, mir aber auf alle Fälle, es ist nicht Unbescheidenheit, sondern ein Trost für meinen Zustand, auf beiliegender Karte kurz Antwort zu geben. Ich nenne Ihnen meine volle Anschrift, da ich Vertrauen zu Ihrer werten Person habe und würde mich unendlich freuen, baldigst irgend eine Antwort zu erhalten.
Ihre ergebenste Wally Hauser
Da ich schon etwa 2 Jahre mit einem Transvestiten korrespondiere, der gern eine Stellung als Hausmädchen oder dergleichen angenommen hätte, schrieb ich ihm. Er war einverstanden, da er arbeitslos war und im Alter von 42 Jahren stand. Er sandte mir zu den Lichtbildern, die ich schon von ihm hatte, noch 2 nette Bildchen, die ihn als Dienstmädchen darstellen und aus jener Zeit stammten, die ihn in Hamburg als Hausmädchen 2 Jahre in Stellung war, ohne, daß ihn jemand erkannt hatte, sodaß ich zwischen ihm und Fräulein Hauser vermitteln konnte. Beide trafen sich dann in N und wurden einig. Im heurigen Frühjahr konnte ich mich überzeugen, daß Beide sehr zufrieden sind und daran denken, sich übers Jahr einen Hausstand zu gründen, mit verkehrten Rollen.