Verlust von Job und Wohnung
Zeitungsannonce ca. 1937.
Hella Knabes Werbeanzeige
Aus den Beständen der Lili Elbe Bibliothek: Das 3. Geschlecht. Die Transvestiten, 3. Folge 1931, S. 31.
Inhaltswarnung: In diesem Text wird Antisemitismus thematisiert.
Diese Werbeanzeige veröffentlichte die Schneiderin Hella Knabe vermutlich 1937 in einer österreichischen Zeitung. In Folge polizeilicher Ermittlungen wegen Verschickung ihres „Kundenblatts“ an ihre Kund*innen waren Hella und ihre transfeminine Ehefrau Lily in diesem Jahr nach Wien umgezogen. Dort wollten sie sich eine neue Existenz aufbauen. Im Oktober 1938 wendete sich Hella an ihre dortige Ortsgruppe der NSDAP (Nazi-Partei). Um ihre Existenz zu sichern, schrieb sie noch vor Inkrafttreten der „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“, welche die Zwangsschließung jüdisch geführter Betriebe bestimmte:
„In meiner Not habe ich mich an die Dienststelle der Partei meiner Ortsgruppe um Rat gewandt und erfuhr dort zu meiner Freude, daß man es gern sehen würde, wenn eine Reihe von jüdischen Wäsche und Korsettgeschäften auch in meinem Wohnbezirk in arische Hände übergehen würden und daß man unbemittelten arischen Bewerbern hierzu auch die Mittel aus dem Reichsbürgerkredit zur Verfügung stellt. Mein sehnlichster lange gehegter Wunsch nicht mehr auf Herrenkundschaft angewiesen zu sein […] kann auf diese Weise in Erfüllung gehen.“
Durch Alltagsdiskriminierung, polizeiliche Ermittlungen, Outings, Gerichtsverfahren und Haftstrafen, waren Betroffene besonders von Wohnungs- und Arbeitslosigkeit gefährdet. Wer in Haft oder in einer Psychiatrie saß, konnte nicht arbeiten, keine Miete zahlen und seine Familie nicht ernähren. Vorbestrafte Menschen wurden seltener eingestellt. Die Zuschreibung von geschlechtlicher Nonkonformität konnte zur Existenzbedrohung werden. Einige Betroffene sahen sich gezwungen, auf illegalisierte, oder weniger sichtbare und weniger kollegiale Arbeiten umzuschulen oder zu stehlen. Eine andere Strategie, die von als „arisch“ angesehenen Betroffenen angewendet werden konnte, war die politische Anbiederung, zum Beispiel durch Antisemitismus.