Gerichtsverfahren
© Landesarchiv Berlin, ganzes Script lesen.
Charlotte Charlaques Brief an das Berliner Landgericht
ca. 1933, © Landesarchiv Berlin, © qualitativ nachbearbeitet durch Kai* Brust.
Inhaltswarnung: In diesem Text wird Antisemitismus thematisiert.
Diesen Brief schrieb die transfeminine jüdische Schauspielerin Charlotte Charlaque Anfang Oktober 1933 an das Berliner Landgericht. Er ist Teil einer Gerichtsakte, die ihren Versuch dokumentiert, ihren Vornamen in Lola und ihren Personenstand in weiblich zu ändern. Darin liest man die aufreibende Geschichte einer stolzen jüdischen Frau, die sich durch einen Wald antisemitischer und transfeindlicher Ärzte und Behörden kämpfte. Die neuen Papiere benötigte sie als Jüdin besonders, um möglichst schnell aus Deutschland fliehen zu können.
Eine Flucht mit männlich konnotiertem Pass war für sie mit großem Risiko verbunden, da sie eindeutig als Frau gelesen wurde. Zudem hatte sie sich einer der ersten geschlechtsbejahenden Operationen ihrer Zeit unterzogen. Unter dem Druck antisemitischer Verfolgung sah sie sich sogar gezwungen, dem Gericht ihre Weiblichkeit durch Nacktfotos zu beweisen. Doch das Verfahren zog sich so lange, dass sie schon im Mai 1934, vor Verfahrensabschluss die Flucht in die damalige Tschechoslowakei ergreifen musste. Kurz bevor sie 1942 in das Ghetto nach Theresienstadt deportiert werden sollte, entkam sie mit Hilfe ihrer ebenfalls transfemininen Partnerin *Toni Ebel, in die USA.
Trotz der Aufweichung des Rechtsstaats fanden während der NS-Herrschaft weiterhin Gerichtsverfahren statt. Bei geschlechtlich nonkonformen Personen wurden Verfahren vor allem auf Basis des Verdachts auf Verstoß gegen binärgeschlechtliche Normen oder gesetzliche Regelungen geführt. Darunter fielen zum Beispiel Verfahren zur „Erregung öffentlichen Ärgernisses“, zur „Störung der öffentlichen Ordnung“, zu § 175, zur „Urkundenfälschung“ usw. Betroffene konnten sich auch gezwungen fühlen, selbst vor Gericht zu gehen, zum Beispiel um eine Namensänderung durchzusetzen.